Im Namen des Volkes: Eindeutiges Urteil zur Begrifflichkeit "Kieferorthopädie"
19. September 2021Endlich Hilfe für den Verbraucher - der Bundesgerichtshof räumt mit dem Urteil vom 29.7.21 auf und stellt klar, wer sich Kieferorthopäde nennen darf – und wer nicht. Das sind gute Nachrichten für die Patienten! Denn: Diverse Anbieter mit sehr unterschiedlicher Qualifikation sind rund um die Zahnkorrektur im Gesundheitsmarkt zu finden: Online-Anbieter, Zahnärzte mit Schwerpunkt Kieferorthopädie, Zahnärzte mit dem Titel „Master of Science Kieferorthopädie“ und der Fachzahnarzt für Kieferorthopädie. Einzig letzterer darf sich mit dem neuen Urteil „Kieferorthopäde“ nennen.
Wer ist wer?
Einige Online-Anbieter wurden jüngst vom Verbraucherschutz via Marktcheck unter die Lupe genommen – mit erschreckenden Ergebnissen. Einen lesenswerten Bericht dazu gibt es hier. Was hat es aber mit den unzähligen Begrifflichkeiten rund um den lapidar im Alltag genannten "Kieferorthopäden" auf sich? Was verbirgt sich hinter den unterschiedlichen Berufsbezeichnungen, Graden und Titeln? Wie soll der (zukünftige) Patient wissen, wer für was steht? Darf, soll oder muss die Verwendung der Bezeichnung „Kieferorthopäde'" nur dem Fachzahnarzt für Kieferorthopädie zustehen? Und was kann der Patient hinter dem Begriff „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ erwarten? Auch diese Problematik wurde im Rahmen einer Klage am Bundesgerichtshof thematisiert.
Aufgeklärt: Bezeichnung, Grad und Titel
Es existiert eine Vielzahl von Begrifflichkeiten, die von kieferorthopädisch tätigen Zahnärzten geführt wie auch beworben werden. Eine Übersicht:
MASTER OF SCIENCE KIEFERORTHOPÄDIE
Der „Master of Science Kieferorthopädie“ (M.Sc.) ist ein akademischer Grad, der neben einer allgemeinzahnärztlichen Tätigkeit im Rahmen eines Masterstudiengangs für Kieferorthopädie erworben werden kann. Das Ausbildungsprogramm umfasst 45 bis 50 Tage an einer (Fern-)Universität. Diese Zusatzqualifikation wird nebenberuflich erworben. Die Tätigkeit in der Praxis findet hier nicht unter Aufsicht und Anleitung von zur Weiterbildung berechtigten Kieferorthopäden statt.
TÄTIGKEITSSCHWERPUNKT KIEFERORTHOPÄDIE
Für das Ausweisen des "Tätigkeitsschwerpunkt Kieferorthopädie" gibt es für den Zahnarzt keine Ausbildung oder abschließende Prüfung. Diese Bezeichnung kann der Allgemeinzahnarzt nach eigener Auffassung nutzen, sofern er in einem bestimmten Ausmaß kieferorthopädisch behandelt. Konkrete Vorgaben gibt es nur in einigen Bundesländern.
FACHZAHNARZT FÜR KIEFERORTHOPÄDIE
Nur ein Zahnarzt, der nach erfolgreichem Studienabschluss mindestens ein Jahr allgemeinzahnärztlich gearbeitet hat und im Anschluss eine dreijährige Fachzahnarztweiterbildung (praktisch wie theoretisch) inklusive einer abschließenden umfassenden Prüfung vor der Zahnärztekammer absolviert hat, trägt den Titel "Fachzahnarzt für Kieferorthopäde". Die hauptberufliche Vollzeit-Weiterbildung erfolgt ausnahmslos in kieferorthopädischen Universitätskliniken und/oder zertifizierten Fachpraxen – immer unter der Aufsicht und Anleitung von speziell hierzu berechtigen Kieferorthopäden.
BGH-Urteil: Irreführungsquote bei der Werbung
Basierend auf dem BHG-Urteil vom 29. Juli 2021 ging es um die Frage, ob eine Praxis auch als "(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie" werben darf und der entsprechende Arzt sich als "Kieferorthopäde" bezeichnen kann. Im Urteil wurde klar berücksichtigt, dass zwar jeder Zahnarzt grundsätzlich berechtigt ist, kieferorthopädische Leistungen anzubieten. Damit der Endverbraucher aber auch Klarheit über die Qualifikation des Anbieters erhält, darf mit den Angaben "Kieferorthopädie" und "(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie" nur dann geworben werden, wenn der Fehlvorstellung, der betreffende Zahnarzt sei Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, durch zumutbare Aufklärung entgegengewirkt wird. Wie diese Aufklärungsmaßnahmen aussehen, hängt von den individuellen Umständen des Einzelfalls ab.
Klartext: Das Gericht bestätigt, dass ausschließlich ein Fachzahnarzt für Kieferorthopädie als "Fachzahnarzt für Kieferorthopädie" oder „Kieferorthopäde“ geführt werden darf. Ein Zahnarzt, der nicht über die mehrjährige Vollzeit-Weiterbildung inkl. Zahnarztkammerprüfung verfügt, darf sich also nicht „Kieferorthopäde“ nennen. Mehr noch: Auch der Begriff „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ muss um die vorliegende Zusatz-Qualifikation ergänzt werden. Die „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ darf also nicht aufgeführt werden, ohne dass die vom Zahnarzt erworbene Zusatzqualifikation separat klar und korrekt benannt wird.
Der Fachzahnarzt für Kieferorthopädie ist die höchste Stufe der Qualifikation im Bereich der Kieferorthopädie. Zur Bedeutung des Fachzahnarztes stellt der BGH somit fest:
"Die Weiterbildung zum Fachzahnarzt dient der Sicherstellung einer hohen Qualität der zahnmedizinischen Versorgung der Bevölkerung und damit einem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut. Die Fachzahnarztbezeichnungen stellen zugleich eine Orientierungshilfe für die an einer Behandlung interessierten Patienten bei der Auswahl eines geeigneten Zahnarztes dar.“
Die Patienten haben die Wahl – ab sofort transparent
Der weltbekannte Arzt, Dichter und Philosoph Friedrich Schiller fasste schon 1799 im "Lied von der Glocke" präzise zusammen, was heute wichtiger ist denn je, wenn es um die Wahl des richtigen Doktors für gesunde, gerade Zähne geht: "Drum prüfe, wer sich ewig bindet, (...)".
Die große Bedeutung der höchsten Qualifikation für den Fachbereich Kieferorthopädie, die der weitergebildete Fachzahnarzt für Kieferorthopädie hat, wird durch den BGH hervorgehoben. Andere Fortbildungsformen müssen - im Sinne des Verbraucherschutzes - als solche klar benannt werden. So kann der Patient selbst entscheiden - ohne Irreführung - ob er seine Zähne einem echten Kieferorthopäden anvertraut – oder einem fortgebildeten Zahnarzt. Klar und transparent. Im Sinne der Patientensicherheit. Dann lässt sich auch leicht sagen:
Quellen:
- Das Gesundheitsportal medondo.health
- Der Bundesgerichtshof, Urteil
- Bundesverband der Deutschen Kieferorthopäden, BDK